Dass sich am 21. November 2016 der Todestag von Kaiser Franz Joseph
I. zum 100. Mal jährt, ist nur ein Anlass, nicht aber die Ursache des
vorliegenden Sammelbands, an dem sich renommierte Historikerinnen und
Historiker sowie Politologinnen und Politologen mit großem Engagement
beteiligt haben und der auf Initiative des österreichischen
Wissenschaftsministeriums entstanden ist.
Grund und Motivation,
das Werden Mitteleuropas, dessen Chancen und Risiken vom Fin de Siècle
bis in die Gegenwart zu thematisieren, bestehen vielmehr in der
Aktualität der Rolle des Subkontinents vom Ende der Habsburger-Monarchie
über die Trennung Europas durch den Eisernen Vorhang bis zum Eintritt
der einzelnen Staaten in die Europäische Union angesichts deren
jeweiliger nationaler Identifikation mit dem supranationalen
Gründungsmythos Europas als Friedensunion einerseits und der
Konfrontation hier und jetzt mit Phänomenen wie Krise, Migration und
Populismus andererseits. Das Buch ist in zwei Abschnitte unterteilt. Der
erste besteht aus vier länderübergreifenden Studien zu nationalen
Narrativen in den im Band vertretenen Ländern Tschechien, Slowakei,
Ungarn, Slowenien, Kroatien, Polen, Österreich), die jeweils periodisch
eingegrenzt sind:
– Fin de Siècle bis zum Ersten Weltkrieg
– Die Zwischenkriegszeit und der Zweite Weltkrieg
– Die Nachkriegsperiode bis zum Ende des Kalten Krieges
– Die Periode nach dem Zerfall des Ostblocks bis zur Gegenwart
Schwerpunkte
sind das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten der spezifisch nationalen
Narrative, wie die Identitätsgewinnung aus nationalen Katastrophen oder
der Konnex mit religiös begründeter Identitätsstiftung, sowie die Frage,
inwieweit transnationale Europavorstellungen als Stärkung oder als
Schwächung nationaler Identität aufgefasst werden, etwa unter Anwendung
des Konzepts nationaler Identität. Die in den ausgewählten Ländern
vorherrschenden Geschichtsbilder werden gesellschaftlich und politisch
kontextualisiert. Ein wesentliches Thema sind auch Opferdiskurse
verschiedenster Art.
Ebenfalls in den ersten Abschnitt aufgenommen
wurde ein weiterer komparativer Beitrag über die Jüdinnen und Juden der
Habsburgermonarchie und ihrer Nachfolgestaaten. Dieser skizziert im
Einzelnen das jüdische Erbe der mitteleuropäischen Staaten vor dem
Hintergrund der historischen Entwicklungen in der Monarchie, die für die
jüdische Minderheit sowohl teils schrittweise Emanzipation als auch
Verfolgung und Diskriminierung bedeuteten, sowie vor dem Hintergrund der
Shoah. Ein weiterer Beitrag fokussiert in historischer Perspektive den
Umgang von Wien mit seiner Migration und macht dabei sowohl die
ängstlich-xenophobe wie auch weltoffene Schlagseite dieses Umgangs
deutlich.
Der zweite Abschnitt des Buches umfasst schließlich
nationale Einzelstudien unter der Vorgabe, die Besonderheiten der
nationalen Narrative, gegliedert nach vier Epochen des 20. Jahrhunderts,
herauszuarbeiten.